Intro
Bis 2045 soll unser Strom vollständig aus erneuerbaren Quellen kommen. Doch um mit der schwankenden Energieerzeugung aus Wind und Sonne umzugehen, müssen sich Industrie und Strommarkt umstellen. Der Beirat Digitalstrategie beschäftigte sich am 21.04.2023 mit einem Projekt, das dabei helfen soll: SynErgie.
Energiewende stellt Industrie vor Herausforderungen
Als 2022 kein russisches Gas mehr nach Deutschland floss, zeigte sich deutlich, wie wichtig die Energieversorgung und -sicherheit für Industrieunternehmen ist. Zugleich ist die Energieversorgung im Umbruch und klimafreundliche Technologien etablieren sich immer mehr. Die deutsche Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen.
Damit sind neue Herausforderungen verbunden, gerade auch im Bereich des Stromsystems. Das Problem: Um hohe Anteile erneuerbarer Energien erfolgreich zu bewegen, muss ein neues Energiesystem geschaffen werden. Es muss mit der zunehmend fluktuierenden Stromeinspeisung umgehen, da Sonne und Wind nicht auf Knopfdruck verfügbar sind. Abhängig von Tageszeit und Wetter liefern Photovoltaik- und Windkraftanlagen mal mehr, mal weniger Strom. Die Nachfrage nach Strom muss jedoch zu jeder Zeit genauso hoch sein wie das Angebot – sonst gerät das Netz aus dem Gleichgewicht.
Das Projekt
Wie hilft SynErgie Unternehmen, ihren Stromverbrauch flexibel zu gestalten?
Das Ziel von SynErgie ist es, alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Industrie ihren Energiebedarf flexibel an das schwankende Angebot anpassen kann. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt das Projekt auf unterschiedlichen Ebenen an:
Produktionsprozesse energieflexibel gestalten: Branchen wie die Metall- und Aluminiumindustrie oder die Papier- und Chemieindustrie verbrauchen sehr viel Strom und Wärme. In diesen Branchen entwickelt SynErgie Lösungen, um besonders energieintensive Produktionsprozesse so zu gestalten, dass sie auch mit weniger Stromverbrauch funktionieren. Neben dem Fokus auf einzelne Branchen und Unternehmen untersucht SynErgie auch Lösungen, die sich auf viele verschiedene Branchen übertragen lassen.
Anbieter und Verbraucher digital vernetzen: Das zentrale digitale Element von SynErgie ist die sogenannte Energiesynchronisationsplattform. Diese soll Industrieunternehmen und Stromanbieter miteinander verknüpfen und so einen ständigen Abgleich zwischen Angebot und Nachfrage ermöglichen. Wie ist das derzeitige Stromangebot auf dem Markt – gibt es einen Mangel oder Überschüsse? Muss die Produktion heruntergefahren werden? Oder ist im Gegenteil der Strom gerade günstig, sodass die Maschinen die ganze Nacht durchlaufen können?
Regulatorische Anreize schaffen: Damit Unternehmen Anreize haben, ihre Prozesse so umzubauen, dass sie zu bestimmten Zeiten mehr oder weniger Strom verbrauchen, muss sich auch der regulatorische Rahmen ändern. Aktuelle Regelungen bestrafen Unternehmen mit schwankendem Stromverbrauch sogar – anstatt sie dafür zu belohnen. Deshalb werden im Rahmen von SynErgie auch Vorschläge für einen regulatorischen Rahmen entwickelt, der Anreize für Unternehmen schafft, sich energieflexibel zu verhalten.
Wie funktioniert die Energiesynchronisationsplattform?
Die Energiesynchronisationsplattform (ESP) besteht aus zwei Elementen:
Die Unternehmensplattform ermöglicht es der Industrie, Energiedaten, Betriebsdaten und Maschinendaten aus der eigenen Produktion zu erfassen, zusammenzuführen und zu analysieren, um Energieflexibilitätspotenziale zu identifizieren.
Gleichzeitig wird über die Marktplattform ein standardisierter Rahmen für die direkte Kommunikation zwischen der Energiewirtschaft und den produzierenden Unternehmen geschaffen. Marktrelevante Services (z.B. Strompreisprognosen oder Vermarktung) können von Unternehmen direkt in Anspruch genommen werden.
So können Unternehmen flexibel auf das schwankende Energieangebot reagieren. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass Arbeitsprozesse mit hohem Energieverbrauch automatisch vorgezogen werden, wenn besonders viel Strom produziert wird und er entsprechend günstig ist. Es kann aber auch bedeuten, dass Unternehmen kurzfristig ihre Produktion herunterfahren – und dafür entlohnt werden. Schließlich haben sie dazu beigetragen, das Stromnetz zu entlasten und somit die Versorgungssicherheit für alle zu gewährleisten.
Übrigens: Wer sich für das Konzept der Energiesynchronisationsplattform interessiert, hat die Möglichkeit, spielerisch in die Welt der Energieflexibilität einzutauchen. Im Online-Spiel
Was hat SynErgie bereits erreicht? Und wie geht es weiter?
SynErgie ist Teil der vom BMBF geförderten Kopernikus-Projekte für die Energiewende, in denen ganzheitliche Lösungsansätze für die Energiewende untersucht und entwickelt werden. In den ersten beiden Projektphasen von SynErgie stand die Konzeptionierung der digitalen Energiesynchronisationsplattform im Vordergrund. Fachleute haben die Plattform und das dazugehörige Datenmodell bereits prototypisch entwickelt und in einem konzeptionellen Testbetrieb in der
Auch im Bereich der energieflexiblen Produktionsprozesse konnte SynErgie erste Erfolge erzielen. Ein Beispiel ist der Essener Aluminiumhersteller TRIMET. Bislang war TRIMET auf die konstante Nutzung von Strom angewiesen. Nun hat SynErgie zusammen mit dem Industriepartner einen Weg gefunden, die empfindlichen Aluminiumöfen auch bei schwankendem Strom zu betreiben. Dadurch kann das Unternehmen seinen Stromverbrauch für bis zu zwei Tage um 22,5 Megawatt erhöhen oder senken. Eine Leistung, die dem Verbrauch von etwa 25.000 Drei-Personen-Haushalten entspricht.
Im Juli 2023 beginnt die dritte Phase des Projekts. Im Fokus stehen dabei die erfolgreiche Umsetzung und Anwendung der entwickelten Lösungen. Bis Ende 2025 sollen bis zu fünf Industrieunternehmen die Energiesynchronisationsplattform in ihre eigene Systemlandschaft integrieren.
Vor welchen Herausforderungen steht das Projekt?
Bei SynErgie handelt es sich um ein ausgesprochen komplexes Projekt. Innovative – sich stetig weiterentwickelnde – Technologien, riesige Datenmengen und unterschiedlichste IT-Systeme müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Die entwickelten Lösungen müssen dann zu den spezifischen Bedürfnissen und Anforderungen der einzelnen Branchen passen. Nicht zu vergessen: die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Prognose von betriebs- und volkswirtschaftlichen Auswirkungen.
Um solch ein Projekt zu stemmen, ist eine interdisziplinäre Herangehensweise nötig, die technologisches Know-how, wirtschaftliches Verständnis und regulatorische Expertise vereint. Unter der Leitung der Universität Stuttgart und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung sind insgesamt 91 Partner an SynErgie beteiligt. Die schiere Menge an Beteiligten macht deutlich, wie wichtig die regelmäßige Kommunikation und der Austausch von Know-how innerhalb des Projektteams sind. Die Partner müssen eng zusammenarbeiten, um die genannten Herausforderungen zu bewältigen und Synergien zu nutzen.
Doch in einem sind sich alle Projektpartner einig: Die Mühe lohnt sich. Denn wenn SynErgie erfolgreich ist, kann es in erheblichem Maß dazu beitragen, die Energiewende voranzutreiben – und zugleich den Industriestandort Deutschland zu stärken.
Was denkt der Beirat – und wie reagiert das BMBF?
Das Projekt SynErgie kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, durch Flexibilisierung und Digitalisierung unsere Klimaziele zu erreichen. Für den Erfolg des Projekts sind dem Beirat Digitalstrategie folgende drei Punkte besonders wichtig. Das zuständige BMBF reagiert jeweils darauf.
Beirat sagt: „Zentrale Bedeutung des Datenteilens für den Umsetzungserfolg bedenken: Entscheidend für den Erfolg des Projekts ist es anzureizen, dass Daten zwischen Energieanbietern und Energienutzern ausgetauscht werden. Deswegen sollten Hürden des Datenteilens identifiziert werden und zu Beispiel durch Sicherstellung von Datensouveränität und Geschäftsgeheimnissen abgebaut werden. Wichtig für den Erfolg ist es, die Standardisierung des Datenaustauschs (z. B. Asset Administration Shell - IDTA, International Data Space - IDS) sowie die Integration von Datenökosystemen wie Manufacturing-X und Catena-X im Projektverlauf einzubeziehen.“
→ Bundesforschungsministerium (BMBF) antwortet: „In dem Projekt wurde bei der Konzeptionierung der Energiesynchronisationsplattform darauf geachtet, dass eine standardisierte Kommunikation von Energieflexibilitätspotenzialen in Form des Energieflexibilitätsdatenmodells ermöglicht wird. Bei der Kommunikation werden keine Produktionsdaten oder Energieverbrauchsdaten geteilt, sondern nur die Flexibilitätspotenziale. Für Services wie die Nutzenergiebedarfsprognose, bei denen Energieverbrauchsdaten mit KI-Serviceanbietern geteilt werden müssen, wurden Sicherheits- und Datenschutzrisiken wissenschaftlich überprüft und in einer Roadmap dokumentiert. In der dritten Förderphase von SynErgie sind Standardisierungsvorhaben in unterschiedlichen Verbänden und der Austausch mit weiteren thematisch passenden Initiativen geplant.“Beirat sagt: „Skalierungsstrategie frühzeitig erarbeiten und kommunizieren. Ziel sollte es sein, im Anschluss an das räumlich begrenzte Modellprojekt durch ein großes Netzwerk (kommerzielle Partner, Verbände) eine möglichst große Breite der Industrie inklusive des Mittelstands zu erreichen. Dabei sollte die Zusammenarbeit mit anderen Projekten, die in einem ähnlichen Zusammenhang bestehen (z.B. Mittelstandskompetenzzentren des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK), Kompetenzzentrum für Energieeffizienz durch Digitalisierung in Industrie und Gebäuden (KEDi)) gesucht werden. Wichtig ist auch die Belegschaft der Unternehmen für eine Beteilung (u. a. Flexibilisierung der Arbeitszeiten) zu gewinnen."
→ BMBF antwortet: „Für die dritte Förderphase mit Fokus auf Transfer und Umsetzung ist eine möglichst breite Industriebeteiligung von entscheidender Bedeutung. Im Konsortium sind bereits jetzt Unternehmen aus diversen Industriebereichen und mit unterschiedlicher Größe vertreten. Je breiter die Ansätze des energieflexiblen Stromverbrauchs in die Umsetzung getragen werden können, desto umfänglicher kann das Potential der entwickelten (digitalen) Lösungen für Energieflexibilität und damit für Energiewende und Klimaschutz ausgeschöpft werden und desto mehr Unternehmen können von den Lösungen profitieren. Im Rahmen der dritten Förderphase von SynErgie soll die Untersuchung sozioökonomischer Fragestellungen mit besonderem Fokus auf betrieblichen Herausforderungen der nachfrageseitigen Energieflexibilisierung weiterverfolgt werden.“Beirat sagt: „Regulierungskontext mitbedenken und aktiv entwickeln: Der regulatorische Kontext ist für den Projekterfolg zentral und sollte daher noch stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Heutige Hürden im Strommarktdesign und der Netzentgeltsystematik, die eine stärkere marktliche Flexibilisierung der Nachfrage verhindern sowie mögliche Ansatzpunkte zur Verbesserung, sollten in der weiteren Kommunikation der Projektergebnisse und -erfahrungen klarer benannt werden. Dafür ist eine stärkere Verzahnung mit dem BMWK und der Bundesnetzagentur (BNetzA) notwendig.“
→ BMBF antwortet: „Zur Umsetzung industrieller Energieflexibilität erarbeitet SynErgie bereits seit 2016 konkrete Lösungsvorschläge und erprobt diese bei Unternehmen vor Ort – in enger Abstimmung mit Unternehmen und Verbänden aus der (energieintensiven) Industrie sowie mit verschiedenen Netzbetreibern und internationalen Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft. So wurden und werden regulatorische Hemmnisse für den Flexibilitätseinsatz in der Praxis identifiziert und Handlungsempfehlungen entwickelt, die Flexibilitätspotenziale in der Praxis bestmöglich heben.“